Berlin, 9. Dezember 2010: In den 1950er und 1960er Jahren waren Sie wahre Straßenfeger und begeisterten Erwachsene. Später in den 1970er und 1980er Jahren sorgten Sie dann vor allem für spannende Unterhaltung im Kinderzimmer – jenseits von TV und Videospielen: Die Rede ist von den Klassiker-Hörspielen um den Detektiv „Paul Temple“, den gewitzten Verbrecher „Dickie Dick Dickens“ oder die Geschichten von Jules Verne und Karl May. Sie fesselten Generationen von erwachsenen und auch jungen Hörern an die Lautsprecher der Radios, später dann an die der Schallplattenspieler und Kassettenrekorder. Und die Geschichten haben auch in Zeiten von Internet und Playstation nichts an Attraktivität eingebüßt.

Im Gegenteil. Die Generation der aktuell 20 bis 50 Jahre alten Hörer hat die Hörspiele längst zum Kult erklärt und genießt sie inzwischen über CD- und MP3-Player. Doch wie können sich die zum Teil noch in Mono produzierten Hörspiele heute gegen andere Unterhaltungsangebote durchsetzen? Worin liegt der Reiz der teilweise über 50 Jahre alten Produktionen?
„In diesen Krimi-Klassikern ist die Krimi-Welt noch in Ordnung. Gut und Böse stehen sich klar erkennbar gegenüber, man mordet und ermittelt mit dem dafür angemessenen Stil,“ erklärt Ines Hansla vom Münchner Hörverlag, der zusammen mit dem Berliner Audioverlag die Serie um den Detaktiv „Paul Temple“ herausgibt. Bei den Fällen gehe es eben nicht um abgedrehte Plots und immer blutigere Verbrechen, wie sie die Krimi-Szene zur Zeit bestimmten, so Hansla. Stattdessen gebe es überschaubare, atmosphärisch dichte Fälle und Ermittler mit menschlichen Schwächen. Und dieses Konzept kommt offenbar gut an. Der Hörverlag hat die Reihe insgesamt 150.000 Mal verkauft, ein enormer Erfolg. Einzelne Folgen wie etwa „Paul Temple und der Fall Genf“ wurden bis zu 25.000 mal abgesetzt und mussten mehrfach aufgelegt werden.
Paul Temple ist eine Figur des britischen Autors Francis Durbridge, die sich im Hauptberuf als Krimiautor geriert. Dann und wann, nämlich 11 Folgen lang, unterstützt er den mächtigen Scotland Yard bei der Verbrechensbekämpfung. Zusammen mit seiner Frau Steve gerät er dabei immer wieder in brenzlige Situationen, die pro Folge weit mehr als nur einmal den Tod beteiligter Protagonisten fordern. Plot und Szenerie hat der Autor ebenso spannend wie attraktiv gestaltet: In „Paul Temple und der Fall Lawrence“ (Hörverlag) untersucht Temple beispielsweise das Verschwinden der Tochter des britischen Spionageabwehrchefs. Der Fall „Conrad“ (Audioverlag) führt Temple nach Deutschland, wo er die Tochter eines berühmten Psychiaters finden muss und Im Fall „Madison“ (ebenfalls Audioverlag) klärt der Detektiv einen Leichenfund auf einem Ozeandampfer auf der Fahrt von New York nach London auf.
Alle Hörspiele sind von einer großartigen Regie, einer tollen Atmosphäre und exzellent eingesetzten Cliffhangern geprägt. Regelmäßig nimmt die Geschichte kurz vor dem CD-Wechsel eine derart spannende Wendung, dass man mitunter die folgende der meist vier Hörspiel CDs eines Falles gar nicht schnell genug einlegen kann. Fesselnde Unterhaltung par excellence. Hier geht es um die viel zitierte „suspence“, also eben jene tiefgründige Spannung, wie sie eben nur die Großmeister des Genres wie Alfred Hitchcock oder eben Francis Durbridge kreieren können.
Doch nicht nur der Plot und die Dialoge der Protagonisten wissen zu überzeugen. Auch die inzwischen überwiegend verstorbenen Schauspieler leisten großartige Arbeit. Wer kennt sie nicht, die tiefe, sonore und charaktervolle Stimme von Rene Deltgen? Neben den Auftritten in Filmen wie „Der Tiger von Eschnapur“ (1959) und Kautschuk (1938) sind auch seine Auftritte in den Edgar Wallace Streifen „Der Hexer“ und „Neues vom Hexer“ unvergessene Spannungsmomente der Filmgeschichte. Auch Annemarie Cordes als weiblicher Gegenpart zu Deltgen spielt die Rolle der herzlichen, aber realistisch-kritisch, bisweilen sogar feministisch denkenden Ehefrau Steve vorzüglich.

Der aktuelle Hörspielmarkt hat allerdings nicht nur Klassiker-Produktionen für Erwachsene im Angebot. Kindern und interessierten Nostalgikern bietet beispielsweise das Label „Europa“ (Sony Music) unter dem Titel „Die Originale“ jede Menge Hörspiele der 1960er Jahre: „Winnetou“ (u.a. mit Konrad Halver), „In 80 Tagen um die Welt“, „Robinson Crusoe“ oder auch „Hänsel und Gretel“ (mit der bekannten Erzählerstimme von Hans Paetsch) gehören dazu. Hilla Fitzen, zuständige Produktmanagerin des Labels: „Die Hörer sind die Kinder von früher und ihre Kinder und Nichten.“ Viele Hörer kauften die Hörspiele für sich selbst, und gäben sie nach dem Anhören an ihre Kinder weiter. „Damit die Kinder mit dem gleichen Hörgut großwerden und anhand der Vinyloptik der CDs auch einen Eindruck davon bekommen, wie LPs aussahen!“.

Frank M. Wagner
ET-Media, Berlin

Von EIC

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