Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder zur Anküdigung von CDU und SPD, Ende März Neuwahlen durchführen zu wollen

ET-MEDIA: Nach der Aufkündigung der Jamaika-Koalition und dem Scheitern von Koalitionsgesprächen haben CDU und SPD Neuwahlen angekündigt. Wann halten Sie als Politologe es für notwendig, Neuwahlen durchzuführen?

Koschmieder: Bei einer Wahl werden ja nur Parteien bzw. Personen, im Wesentlichen aber Parteien gewählt und keine Koalitionen. Wenn man beispielsweise im Saarland die Grünen gewählt hat, wusste man, dass die Grünen dadurch mehr Abgeordnete bekommen. Aber ob danach eine Regierung mit der SPD oder zum Beispiel mit der CDU zustande kommt, wusste man nicht. Hätten die Grünen dann auf Jamaika verzichtet und wären ein Rot-Rot-Grünes Bündnis eingegangen, dann hätte man nicht sagen können, dass die Wähler getäuscht worden wären und es deswegen Neuwahlen statt eines Regierungswechsels geben müsste. Das heißt, Regierungswechsel sind ohne Neuwahlen möglich und auch legitim. Von „Wählerbetrug“ oder „Mauschelei“ ohne Wählerbeteiligung kann dann nicht die Rede sein, auch wenn das eine oder andere Medium so etwas schreibt. In Abhängigkeit von der Gesamtsituation kann es allerdings geboten sein, Neuwahlen durchzuführen. Ich denke, wenn sich SPD und CDU in dieser Situation auf eine Große Koalition geeinigt hätten, wäre das genauso legitim wie die Entscheidung für Neuwahlen.

ET-MEDIA: Halten Sie Neuwahlen in der konkreten Situation für den richtigen Schritt?

Koschmieder: Kurz gesagt: Ja. Wenn CDU und SPD sich offensichtlich nicht einigen konnten, dann ist es auf jeden Fall der richtige Schritt. Man könnte jetzt darüber reden, ob sie sich nicht doch hätten einigen können und es vielleicht besser gewesen wäre, wenn beide etwas kompromissbereiter gewesen wären, um doch zu einer Großen Koalition zu kommen. Aber das ist mir zu hypothetisch. Hier ist eine Regierung in einer selten da gewesenen Art und Weise zerbrochen und da sind Neuwahlen die relativ logische Konsequenz, wenn die Gespräch über eine Große Koalition nicht zu einem Erfolg führen.

ET-MEDIA: In den gemeinsamen Gesprächen waren CDU und SPD sich in den letzten Wochen ja durchaus einig. Unüberwindbare, inhaltliche Streitpunkte gab es jedenfalls nicht. Trotzdem wollen beide Parteien Neuwahlen.

Als Grund geben beide an, dass eine neue Regierung eine Steigerung der Legitimation durch das Volk voraussetze –  nämlich für fünf statt für zwei Jahre. Allein durch die Verlängerung der Regierungszeit wird die Legitimation der Regierung aber de facto und de jure nicht erhöht.
Koschmieder: Da haben Sie recht. Das theoretische Argument wäre eher, dass man sagt „Wir sind im Prinzip für eine Große Kolaition, aber jetzt lassen wir doch den Souverän entscheiden, vielleicht will der ja andere Mehrheiten, nachdem die letzte Wahl schon eine Weile her ist“. Ich denke allerdings, dass man sich ganz pragmatisch nicht auf die vorgezogenen Neuwahlen einigen konnte, die die SPD gefordert hatte. Die Behauptung, es ginge darum, dass man jetzt fünf statt zwei Jahre lang regiere, ist vermutlich nicht die ganze Wahrheit.

ET-MEDIA: Es heißt ja, die strukturellen Probleme des Saarlandes seien so groß, dass man vernünftigerweise fünf statt der verbleibenden zwei Jahre brauche, um sie angehen zu können. Realiter könnte sich die aktuelle Situation 2011/12 allerdings besser darstellen als sie noch 2009 zu Zeiten der Wirtschaftskrise war?

Koschmieder: Wenn ich das richtig sehe, geht es im Saarland ja hauptsächlich um die Einhaltung der Schuldenbremse. Da ist es natürlich besser, wenn die Regierungsmehrheit breit und sicher ist. In diesem Zusammenhang ist es zudem sinnvoll, dass keine allzu breite Opposition gegen das notwendige Sparpaket steht bzw. auch dass man bei so einem Thema möglichst viele Gruppen in der Gesellschaft mitnimmt. Eine eher konsensuale Einigung auf ein Sparpaket ist natürlich immer besser, als wenn eine Regierungskoalition nur eine Mehrheit von 51 Prozent hat und Ihr Paket dann durchdrückt.

ET-MEDIA: CDU und SPD haben betont, dass sie nach der Wahl eine große Koalition bilden wollen. Vor der Wahl wollten sie dies aber ebenfalls. Vor diesem Hintergrund scheint der Sinn von Neuwahlen etwas zweifelhaft. Können Sie diese Haltung aus politologischer Sicht nachvollziehen?

Koschmieder: Diese Haltung impliziert, dass es sozusagen klar ist, wie die Wahl ausgeht. Aber die Bürger des Saarlandes könnten ja auch sagen: Wir sind damit unzufrieden, wir wählen CDU und SPD nicht. Faktisch wird das wohl nicht passieren und faktisch kann man sagen, dass die Wahl nichts daran ändert, dass es die Große Koalition gibt. Aber im Prinzip wäre die Möglichkeit für den Souverän vorhanden, zu sagen: „Wir wollen es anders“. Abgesehen davon geht es ja auch noch um die Frage, wer den Ministerpräsidenten stellt und die Mehrheit bekommt. Zumindest theoretisch würde ich auch Rot-Grün nicht ganz ausschließen, falls die FDP nicht in den Landtag kommt und die Piraten auch nicht. Dann könnte Rot-Grün zumindest rechnerisch möglich sein. Und auch wenn Heiko Maas die Große Koalition zu bevorzugen scheint, gibt es in der SPD aber auch Stimmen, die sagen: „Dann lieber Rot-Grün“. So ganz bedeutungslos ist die Wahlentscheidung also nicht.

ET-MEDIA: Wenn man sich die Äußerungen der letzten Tage von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine anschaut, dann wird klar, dass beide engagiert für ein rot-rotes Bündnis werben. Welche Chancen räumen Sie diesem Ansinnen an?

Koschmieder: Das halte ich nicht für wahrscheinlich. Zum einen wegen der inhaltlichen Unterschiede. Gerade die Einhaltung der Schuldenbremse scheint mir für die Maas-SPD relativ wichtig zu sein, während Lafontaine ja deutlich macht, dass es für ihn Wichtigeres gibt, als weniger Schulden zu machen und die Ausgaben stärker einzuschränken. Darüber hinaus gibt es auch personelle Schwierigkeiten: Ich bin mir nicht sicher, ob Heiko Maas und Oskar Lafontaine vertrauensvoll zusammenarbeiten könnten und wollten. Und ich glaube, dass es allgemein in der SPD sehr starke Vorbehalte gegen den Teil der Linkspartei gibt, der von dem eher radikaleren Lafontaine-Flügel dominiert wird. Deswegen hat die SPD sicher Schwierigkeiten, gerade im Saarland – wo Lafontaine physisch anwesend ist – mit der Links-Partei zusammen zu arbeiten. Aber vielleicht vereinbart die SPD nach der Wahl mal ein Vortreffen, um zu prüfen, ob es sich lohnt zu sondieren. Damit könnte die SPD natürlich auch die CDU unter Druck setzen und sagen, dass man notfalls auch noch eine Alternative hat, und daher mehr Zugeständnisse von der Union fordert.

ET-MEDIA:  Gibt es eigentlich vergleichbare Situationen in anderen Ländern bzw. im Ausland?

Koschmieder: Das kann ich spontan nicht beantworten, halte ich aber für nicht besonders abwegig. Wenn eine Regierungskoalition zusammenbricht, haben ja nicht immer alle Parteien ein Interesse an einer Neuwahl. Und dass man dann über eine Alternative nachdenkt, ist sicher nicht falsch. Nehmen Sie die Situation im Bund, da gibt’s ja nicht wenige Journalisten und auch Politiker, die der Meinung sind, die FDP sei so am Ende, dass die Regierungskoalition bald auseinanderfalle. Die SPD hat Merkel für diesen Fall übergangsweise und für einen begrenzten Zeitraum eine Große Koalition angeboten, um wichtige Gesetze durchzubringen, dann aber Neuwahlen herbeizuführen. Das ist natürlich bislang so nicht passiert, weil die Regierungskoalition bisher nicht auseinander gefallen ist. Es könnte aber durchaus dazu kommen. Und ich halte es weder für unmoralisches Postengeschacher, noch für verwerflich, darüber zu reden. Aber auch Neuwahlen sind natürlich in Ordnung.

ET-MEDIA: Nach Ansicht des Mainzer Politikwissenschaftlers Falter wäre eine sofortige Große Koalition ohne Neuwahlen für das Saarland der bessere Weg gewesen. Das sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Dies hätte weniger Unruhe gebracht und mehr Kontinuität gegeben. Der Wunsch der SPD, die nächsten Landtagswahlen auf 2013 vorzuziehen, habe dies aber zunichte gemacht. Wie sehen Sie das?

Koschmieder:  Für die CDU wäre eine sofortige Große Koalition natürlich besser gewesen und die Neuwahl eine weniger schöne Option, weil sie Gefahr läuft, nicht mehr stärkste Kraft zu sein und damit die Ministerpräsidentin nicht mehr stellen zu können. Für die SPD hingegen bieten die Wahlen natürlich eine Chance. Die Aussage, dass die sofortige Große Koalition daran gescheitert ist, dass die SPD die Neuwahlen gerne vorgezogen hätte, ist nach meiner Kenntnis faktisch richtig. Für Falters Argument der Unruhe und der fehlenden Kontinuität spricht natürlich, dass zunächst der Landtag binnen 60 Tagen nach seiner Auflösung neu gewählt werden muss und in dieser Zeit ausschließlich Wahlkampf gemacht wird und keine Entscheidungen getroffen werden. Und während der Sondierungsgespräche und der Koalitionsverhandlungen nach der Wahl hält dieser Zustand ja auch noch einige Wochen lang an. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass das Saarland vor großen Problemen steht, ein Sparpaket auflegen muss und nicht monatelang einfach nichts tun kann, dann stimmt Falters Aussage so natürlich: Für eine schnelle Problemlösung wäre die Große Koalition ohne Neuwahlen der beste Weg gewesen – aber natürlich nur, wenn die neue Regierung sich in inhaltlichen Fragen wirklich hätte einigen können. Außerdem muss man überlegen, wie stark man die einzelnen Punkte gewichtet. Dann muss man abwägen: Die schnelle Handlungsfähigkeit der Regierung, die Legitimation der Regierung durch Wahlen, die Einigkeit, mit der die Regierung handeln kann, und so weiter. Daher halte ich Falters Aussage nicht für falsch, würde ihr aber trotzdem so nicht zustimmen.

Von EIC

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