Bundesjustizminister Heiko Maas, Foto: Frank M. Wagner

Die SPD hatte die Vorratsdatenspeicherung (VDS) im Sommer 2015 abgenickt. Auf den ersten Blick ist das ein Sieg für Bundesjustizminister Heiko Maas, der die Pläne beim kleinen SPD-Parteitag verteidigt hat. Doch sein Image ist angekratzt. Schließlich war er kurz zuvor noch dagegen. Im Interview mit Parlamentskorrespondent Frank M. Wagner nahm Justizminister Maas jetzt Stellung.

Herr Minister, Ihr kleiner Parteitag, der SPD-Konvent, hat sich für die Vorratsdatenspeicherung entschieden. Auch weil Sie sehr dafür geworben haben, obwohl Sie früher strikt dagegen waren. Deshalb mögen Sie politisch gewonnen haben, Ihr Glaubwürdigkeitsproblem bleibt aber.

Wir haben auf dem Konvent viele Argumente für und gegen die Speicherung von Daten gehört. Und es ist gut, dass wir dieses wichtige Thema so ausführlich und sachlich debattiert haben. Das ist auch ein Qualitätsmerkmal der SPD, dass hier Themen ausführlich diskutiert werden, bevor sie beschlossen werden.

Es war doch so: Es gibt einige, die grundsätzlich nicht wollen, dass Daten gespeichert werden. Und es gibt andere, die genauso überzeugt davon sind, dass die Aufklärung von schwersten Straftaten nicht daran scheitern darf, dass Ermittler bestimmte Daten für einen kurzen Zeitraum zur Verfügung haben. Zwischen den Extrempositionen haben wir einen ausgewogenen Kompromiss gefunden: Wir bringen Freiheit und Sicherheit in Einklang.
Die eng begrenzte Speicherung von Verkehrsdaten ist kein Allheilmittel, sie ist aber auch nicht der Untergang des digitalen Abendlandes. Unser Gesetz ist in Europa konkurrenzlos restriktiv. Es werden weniger Daten für einen kürzeren Zeitraum bei höheren Zugriffshürden gespeichert als zuvor.

Wir orientieren uns strengstens an den engen Vorgaben des Verfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Ich bin mir sicher, dass unser Gesetzesvorschlag jeder gerichtlichen Überprüfung standhält.

Und: Ich finde es richtig, wenn wir jetzt vereinbaren, dass die Wirkung des Gesetzes nach einer bestimmten Frist überprüft werden muss. Die Prüfung sollte unter Einbeziehung wissenschaftlicher Sachverständiger erfolgen, die im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt werden sollten.

Dennoch gelingt es Ihnen nicht wirklich, Ihre Kehrtwende zu erklären. Sie hatten ja gesagt: „Der Europäische Gerichtshof verbietet die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, weil sie gegen Grundrechte verstößt. Und deswegen wird es sie auch nicht geben.“ Jetzt wird es sie allerdings doch geben. Warum?

Wir hatten uns innerhalb der Bundesregierung darauf verständigt: Wenn die Europäische Kommission eine neue Richtlinie macht, dann wird es in Deutschland erst dann ein Gesetz geben, wenn diese Richtlinie vorliegt. Wenn es diese Richtlinie nicht gibt, dann fällt das Thema Vorratsdatenspeicherung zurück in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dann muss darüber eine politische Entscheidung getroffen werden. Und genau vor dieser Situation standen wir jetzt. Was Herr de Maizière und ich letztlich versucht haben, ist, mit dem Konzept, das wir jetzt vorgelegt haben, dafür zu sorgen, dass die Rechtsprechung, die es dazu gibt und die relativ deutlich ist, auch eingehalten wird.

Sagen Sie. Andere bezweifeln das. Der „Spiegel“ hält Ihre Argumentation auf dem Konvent für entlarvend. Das „Hamburger Abendblatt“ hält Ihre Argumente zwar für richtig, schreibt aber auch, die SPD-Führung müsse wieder mehr über­zeugen, statt zu überrumpeln.

Ich bleibe dabei: Die Vorratsdatenspeicherung, die sich die Sicherheitsbehörden bei Polizei und Staatsanwaltschaften gewünscht haben, wird es so nicht geben. Die Sicherheitsbehörden gehen von ganz anderen Speicherfristen aus, sie wollen sechs Monate, alles andere sei zu kurz, sie wollen auch alle Daten und keine Einschränkungen. Und auch unter Beibehaltung meines kritischen Blicks auf die Vorratsdatenspeicherung wird das, was wir da vorgelegt haben, von einigen Befürwortern ja nicht einmal mehr als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet, weil es ihnen nicht weit genug geht. Wir haben ganz enge Grenzen angelegt und Höchstspeicherfristen. Wir haben gesagt: Okay, entweder wir definieren Anlässe, damit es keine anlasslose Speicherung gibt. Ein Anlass wäre zum Beispiel dann gegeben, wenn der Innenminister eine erhöhte Terrorwarnstufe ausruft. Dann würde gespeichert. Oder: Es gibt ein grundsätzlich anschlaggefährdetes Großereignis in Deutschland, beispielsweise Olympische Spiele oder den G7-Gipfel, ab dann würde gespeichert. Das ist aber technisch extrem schwierig, weil die Provider dann die Technik vorhalten müssen und dann sozusagen bei Anruf den Schalter umlegen. Dann hätte geklärt werden müssen, ob in ganz Deutschland gespeichert wird, wenn in Hamburg die Olympischen Spiele stattfinden. Straftaten, die wir eigentlich mitbekämpfen wollen, wie die Kinderpornographie oder sexueller Missbrauch, die kann man mit Anlässen gar nicht mehr erfassen. Denn bedauerlicherweise passiert das 365 Tage im Jahr. Also hätten wir die ganz rausnehmen müssen aus dem Anwendungsbereich. Deshalb haben wir gesagt: Wir kommen mit dem Anlass nicht weiter.

Welche Konsequenz folgt daraus?

Wir speichern zwar anlasslos, dafür dann aber eben nicht alle Daten. Demzufolge kann auch nicht, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) befürchtet, ein Persönlichkeitsprofil von jedem erstellt werden, weil zuvor eben nicht alle Daten abgespeichert wurden. Daher haben wir den kompletten Pool der E-Mail-Daten rausgenommen, also auch der IP-Adressen der E-Mails. Das ist quantitativ ein großer Anteil an den Verkehrsdaten. Und deswegen ist die Speicherung eben auf Verkehrsdaten aus der Telefonie sowie auf die IP-Adressen im Webverkehr und auf die Standortdaten, die letztlich ein sensibler, aber unverzichtbarer Eingriff sind, begrenzt. Letztere hätte es auch ohne Vorratsdatenspeicherung gegeben und gibt es ja auch jetzt schon. Wenn ein Verbrechen passiert, guckt man sich an, wer zur fraglichen Zeit in der Nähe des Tatorts mit dem Handy eingeloggt war.

Sensible Standortdaten werden Sie künftig vier Wochen lang speichern lassen, die restlichen Daten zehn Wochen. Darüber hat sich die CDU sehr gefreut. War das Geschenk an die Union wirklich nötig?

Dabei handelt es sich um Höchstspeicherfristen, das sind keine Mindestspeicherfristen. Danach müssen die Daten alle gelöscht werden. Das war im alten Gesetz nicht geregelt. Jetzt ist es dagegen so: Wer sich nicht an die Löschungsverpflichtung hält, wird mit Ordnungsgeldern ab 500.000 Euro belegt werden. Es gibt zudem einen harten Richtervorbehalt, ohne eine Kompetenz der Staatsanwaltschaft. Es kann also immer nur ein Richter, nie ein Staatsanwalt die Entscheidung treffen, die Daten zu nutzen. Alle Berufsgeheimnisträger wie etwa Ärzte, Anwälte und Journalisten sind ausgenommen. Es gibt darüber hinaus nur einen bestimmten Straftatkatalog, bei dem die gespeicherten Daten genutzt werden dürfen. Die Daten, die ja nicht vom Staat gespeichert werden, sondern von den Unternehmen, müssen auf einem separaten Server gespeichert werden. Dieser muss in Deutschland stehen. Die Daten dürfen nicht mit den sonstigen Verkehrsdaten des Unternehmens gespeichert werden. Also: Mehr an Vorkehrungen kann man nicht mehr einziehen. Nachdem wir jetzt eine Regelung haben, die mit Abstand die kürzesten Speicherfristen und mit Abstand die schärfsten Zugriffsregeln in ganz Europa hat, glaube ich, dass wir bei aller Sensibilität des Themas alle Vorgaben der Rechtsprechung vollständig eingehalten haben. Insofern kann ich diejenigen, die glauben, dass die Regelungen nicht grundrechtskonform sind, nur auffordern, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Die Richter werden dann darüber entscheiden. Aber ich glaube, gerade das Urteil des Verfassungsgerichts haben wir jetzt 1:1 umgesetzt.

Ihr Parteifreund Lars Klingbeil fürchtet, dass diese Regelung erneut vor Gerichten keinen Bestand haben wird. Er sollte sich auskennen, ist netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Was macht Sie eigentlich so sicher, dass die neue Regelung der Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird?

Wir haben alle Punkte, die im Urteil stehen, berücksichtigt. Das Gericht hat gesagt: Das damalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist grundsätzlich möglich, wenn folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Man kann die VDS nur für besonders schwere Straftaten nutzen, diese müssen in einem Katalog zusammengestellt werden. Das haben wir gemacht. Dann dürfen weder Staat noch Unternehmen jeweils alleine darauf zugreifen, es muss eine Art Vier-Augen-Prinzip geben. Dann folgen die Sicherheitsstandards, wie etwa, dass es zur Speicherung einen eigenen Server geben muss, der in Deutschland stehen muss. Auch das haben wir in den Gesetzestext geschrieben. Dem Schutz von Berufsgeheimnisträgern ist Rechnung zu tragen. Für diese Berufsgruppen haben wir ein Verwertungsverbot in das Gesetz übernommen. Es braucht einen Richtervorbehalt, den harten Richtervorbehalt haben wir ebenfalls gesetzlich normiert. Wir haben die Voraussetzungen also wirklich 1:1 abgeschrieben. Und das sind unsere Leitlinien, die Gegenstand des Gesetzes werden. Deshalb frage ich mal zurück: An welcher Stelle stehen wir denn im Widerspruch gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Ausgerechnet die E-Mail-Daten wollen Sie nicht speichern. Brauchen Sie die nicht?

Wir haben von vornherein gesagt, wir werden nicht alle Datenarten speichern können. Und wir haben vier Datenarten kategorisiert: Telefonie, wie Festnetz, Mobilfunk und Internettelefonie, IP-Adressen im Webverkehr, ohne die aufgerufenen Seiten, die Standortdaten und den E-Mail-Verkehr. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass Verbrecher auch über E-Mail kommunizieren. Aber die E-Mail ist das Massenkommunikationsmittel heutzutage, das jeder nutzt.

Tricksen Sie bei den E-Mails nicht? Es gibt ja noch die Telekommunikationsüberwachungsverordnung, mit der Ermittler ohnehin Zugriff auf den Mailverkehr haben.

Na ja, wir definieren hier jetzt ja erst mal die Daten, die gespeichert werden müssen. Übrigens: Fast jeder Provider und Telekommunikationsanbieter speichert ja auch weiter die Verkehrsdaten seiner Kunden – und das teilweise sogar länger. Nur da hat jeder Kunde zugestimmt, als er seinen Vertrag abgeschlossen hat. In dem Vertrag steht drin, wie lange gespeichert wird. Wenn man das nicht will, muss man sich einen anderen Provider suchen, der kürzer oder gar nicht speichert, das gibt es auch – aber selten. Provider speichern die Daten ihrer Kunden teilweise sechs bis acht Monate – davon sind wir bei unseren Höchstspeicherfristen weit weg. Ich sage: Was man freiwillig seinem Provider gibt, ist nicht so geschützt, wie das, was auf Verpflichtung des Staates hin gespeichert wird.

Sie können noch so gut argumentieren – dass es die Vorratsdatenspeicherung jetzt gibt, wirkt wie ein Einknicken vor der CDU. Schließlich war das Thema ja eigentlich schon komplett vom Tisch.

So ganz erledigt hatte es sich nicht, es ist öffentlich nicht mehr so viel drüber geschrieben worden. Denn letztlich stand immer noch die Entscheidung der EU-Kommission aus, ob sie eine eigene Richtlinie macht oder nicht. Die hat sich da ein wenig Zeit genommen, um das zu prüfen und hat dann festgestellt, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten eigentlich der Auffassung ist, das die Europäische Kommission diese Frage nicht noch mal lösen muss, da jedes Land schon ein solches Gesetz hat und dieses im Rahmen seiner eigenen verfassungsmäßigen Ordnung ausgestaltet. Als dies im Februar klar wurde, war das Thema dann doch wieder präsent.

Aber man hätte die Vorratsdatenspeicherung ja auch einfach gar nicht regeln können.

Man hätte sie auch gar nicht regeln können, ja. Theoretisch zumindest.

Also gab es doch Druck der Union? Denn die wollte die Speicherung ja gerne regeln und die SPD eher nicht.

Na ja, es gibt ja auch welche in der SPD, die das wollen, zum Beispiel viele Innenminister. In der Union ist die Anzahl derer, die eine Speicherung regeln wollten, aber größer, das stimmt. Letztlich ist es ein politischer Kompromiss. Man kann auch sagen: Die Protagonisten sind de Maizière und Maas. De Maizière will mindestens 6 Monate, Maas will null. Da muss man sich irgendwo einigen. Und das haben wir versucht.

Kompromiss ist ein schönes Stich­wort. Man könnte sagen: Für die Maut der Union bekommt die SPD den Mindestlohn und für das Betreuungsgeld erhält die SPD die Rente mit 63. Was haben Sie denn jetzt für die Vorratsdatenspeicherung gekriegt?

(lächelt) Unverschämterweise: nichts.

Das ist aber ein sehr hoher Preis.

Aber es funktioniert auch nicht so, wie Sie das beschrieben haben. Es kann schon sein, dass es nach außen so aussieht, dass Dinge miteinander verknüpft werden. Ich will nicht ausschließen, dass es so etwas nicht auch mal gibt. Aber das ist echt nicht die Regel. So funktioniert das nicht. So kann man auch auf Dauer nicht Politik machen. Es geht im Wesentlichen um sachliche Fragen: Geht das, machen wir das mit? Das hat man ja auch bei den Höchstspeicherfristen jetzt gesehen: Wir haben da um die Details gerungen, um Kleinigkeiten. Da verbindet man keine Äpfel mit Birnen. Wenn ich mir angucke, was die SPD alles gemacht hat in diesem ersten Jahr von Rente über Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse, da wüsste ich gar nicht, wofür die Union da immer etwas bekommen hätte. Was sind denn die ganzen Projekte, die die Union dafür bekommen hat? So viele bekomme ich ja gar nicht zusammen.

Würden Sie aber schon noch zugeben, dass Sie bei der Frage der Vorratsdatenspeicherung ein Stück weit umfallen oder Ihre Position aufgeben mussten?

Im Grunde besteht unsere Arbeit ständig darin, die eigene Position mit den Positionen der anderen in der Koalition abzugleichen und daraus halt eine gemeinsame Position zu machen. Das ist hier besonders schwer und mir bei diesem Thema auch besonders schwergefallen. Aber das ist eigentlich überall so. Auch bei der Mietpreisbremse. Was haben wir da rumverhandelt, bis es dann endlich mal soweit war. Oder bei der Frauenquote. Und bei der Vorratsdatenspeicherung ist es eben auch so. Im Übrigen haben hier in der Tat auch die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ vom Januar eine Rolle gespielt. Wenn es in Deutschland mal einen Anschlag geben sollte – was hoffentlich nie passiert, aber auch leider nicht ausgeschlossen werden kann – wird die öffentliche Debatte auch darum gehen: Haben wir alle Ermittlungsinstrumente, um die Täter zu finden, um weitere Anschläge vielleicht zu verhindern? Diese Frage habe ich mir sehr persönlich gestellt – und jeder sollte diese Frage für sich auch selbst mal beantworten.

Ein ganz anderes Thema ist der Rechtsradikalismus, den Sie sehr klar und eindeutig ablehnen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um ihn effektiv zu bekämpfen: Können Sie vielleicht einen neuen Straftatbestand einführen?

Also mit Straftatbeständen allein wird man den Rechtsradikalismus nicht in den Griff kriegen. Grundsätzlich soll das Strafrecht immer das letzte Mittel sein. Es gibt jetzt schon Möglichkeiten wie Volksverhetzung und andere Tatbestände, die einfach nur angewandt werden müssen – und auch werden. Wir werden aber auch mit den bestehenden Gesetzen den Rechtsradikalismus nicht aus den Köpfen einer Minderheit in Deutschland rausbekommen können. Insofern gibt es nicht die eine Maßnahme oder Aktion, mit der man des Problems Herr wird. Ich glaube im Übrigen, dass jeder da eine Verantwortung hat, nicht nur ein Minister oder die Politik, sondern dass das Thema eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Die Mittel, die für die Anti-Rassismus-Programme und die Anti-Rechtsextremismus-Programme bei Manuela Schwesig liegen, sind deutlich erhöht worden. Diese Mittel, die präventiv wirken, etwa durch Initiativen und Projekte, die junge Menschen aufklären sollen, sind verfünffacht worden. Denn es sind einfach auch zu viele Menschen mit einfachen Lösungen verführbar – und deshalb müssen wir da ansetzen und präventiv aufklären. Wir dürfen den Rechtsextremen niemals die Straße überlassen, sondern uns friedlich dagegen positionieren.

Und was müssen Ordnungs­be­hörden und Justiz tun?

Wir müssen dort, wo Rechtsradikalismus zu Straftaten führt, diese mit den Mitteln des Strafrechtes, die wir haben, konsequent ahnden. Daneben bleibt die Bekämpfung des Rechtsradikalismus für jeden, egal ob er Minister ist oder Arbeitnehmer, auch eine höchstpersönliche Aufgabe. Als Bundesjustizministerium unterstützen wir aktiv etwa die Aktion ‚Gesicht zeigen‘, bei der Prominente wie ZDF-Moderatorin Dunja Hayali in Schulen gehen und mit den Jugendlichen über die Gefahren von Rechts diskutieren. Ich selbst habe im letzten Jahr auch drei Schulklassen besucht, unter anderem in Dillingen. Es geht darum, nicht wegzuschauen, sich zu ducken oder wegzulaufen, sondern ‚Gesicht zu zeigen‘ – wie es in dem Projekt heißt – wenn jemand mitbekommt, dass irgendwo rassistisch, extremistisch, fremdenfeindlich argumentiert wird. Und das geht uns alle an.

Sie sagten, man muss das Strafrecht konsequent umsetzen. Warum handeln Justiz und Exekutive denn nicht immer entsprechend? Im Osten beispielsweise wird das Problem des Rechtsradikalismus ja seit Jahrzehnten nicht wirklich besser.

Wie gesagt: Mit dem Strafrecht allein wird man den Rechtsextremismus nicht reduzieren können. Wir müssen auch dazulernen, wenn die Aufarbeitung und Strafverfolgung nicht zufriedenstellend verlaufen sind. Dass über mehrere Jahre hinweg das rechtsextreme NSU-Trio unentdeckt Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, ermorden konnte, ohne dass die Taten von den Ermittlungsbehörden in einem rassistischen und rechtsextremistischen Zusammenhang gesehen wurden – dafür kann man sich nur entschuldigen. Das war auch ein Stück Staatsversagen. Das darf nie wieder so passieren.

Welche Konsequenzen hat der Staat daraus gezogen?

Es sind sogar sehr klare Konsequenzen gezogen worden: Für die Bundesregierung habe ich ein Gesetz ins Parlament eingebracht, wo es um zwei Dinge geht, die verhindern sollen, dass so etwas noch mal passiert: Zum einen soll der Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der Terrorismus und Spionage bekämpft, die Möglichkeit bekommen, die Ermittlungsverfahren an sich zu ziehen, wenn er sieht, dass es zusammenhängende Taten über Ländergrenzen hinweg gibt. Das halte ich für ganz wichtig, damit keine Informationen irgendwo zwischen Zuständigkeitsfragen mehr verloren gehen. Wir machen das Thema auch zu einer Sache des Generalbundesanwaltes, was früher so nicht der Fall gewesen ist. Und wir ändern darüber hinaus das Strafgesetzbuch bei der Strafzumessungsregel. Das heißt, dass fremdenfeindliche, rassistische oder ansonsten menschenverachtende Motivationen von Tätern bei der Strafzumessung künftig stärker zu berücksichtigen sind. Das heißt, dass die Täter härter bestraft werden.

In Ihrem Heimat-Bundesland, dem Saarland, sind in den letzten Monaten keine Angriffe auf Flüchtlingsheime bekannt geworden. Woran liegt das?

Zum ersten bin ich echt froh, dass es bei uns im Saarland so ist. Das Saarland ist ein Land an der Grenze, wir leben sozusagen auf der Grenze. Die Saarländer haben eine Identität, die eher auch gastfreundlich ist, also offen und hilfsbereit. Das mag dabei helfen. Aber das ist keine Gewähr dafür, dass bei uns so etwas nicht passieren wird. Aber bei uns, glaube ich, dass die sehr bewegte Geschichte des Saarlandes – mal deutsch, mal französisch, mal selbstständig, dann wieder deutsch – vielleicht ein bisschen dazu beigetragen hat, dass die Saarländer sich eher in die Lage hineinversetzen können, Fremde im eigenen Land zu sein. Vielleicht gibt es deshalb bei uns einen anderen Boden oder ein anderes Bewusstsein für diese Themen. Das trägt sicherlich dazu bei, dass wir nicht die Probleme haben, die andere Länder haben.

Und warum, glauben Sie, werden im Osten deutlich mehr fremdenfeindliche Straftaten begangen als im Westen? Liegt das daran, dass die Ostdeutschen nicht wie die Saarländer stets auf der Grenze lebten?

Ich glaube, dass das viele Gründe hat. Das hat sicherlich auch was mit der Vergangenheit zu tun, auch damit, wie in der DDR mit dem Thema Ausländer umgegangen wurde. Denn die gab es in der DDR ja quasi nicht. Und nach der Wende gab es plötzlich bei vielen eine große Angst um die eigene Zukunft. Es gab plötzlich Arbeitsfreiheit, aber auch Arbeitslosigkeit. Dies hat bei manchen auch Ängste geschürt, vielleicht auch dahingehend, dass jeder, der zusätzlich in den Osten kommt, einem die Arbeit wegnehmen könnte. Aber die Fremdenfeindlichkeit, die teilweise im Osten zu beobachten ist, ist in keinster Weise akzeptabel. Wenn ich mir anschaue, dass Pegida-Demonstrationen in Dresden stattfinden – das ist die Stadt in Deutschland mit den wenigsten Ausländer überhaupt – dann kann man nur den Kopf schütteln. Aber es gibt auch viele positive Gegenbeispiele. Ich habe zum Beispiel Kontakt zum Pfarrer in Tröglitz, der mir berichtet, wie sich die Kirchengemeinde dort für Flüchtlinge engagiert. Das finde ich toll – gerade in Tröglitz, gerade wegen der dortigen Ereignisse.

Sie haben „Pegida“ genannt. Sie waren als Gegendemonstrant bei dem Berliner Ableger „Bärgida“ vor Ort dabei und sind mitgelaufen. Haben Sie sich dabei auch auf die Straße gesetzt und damit die Bärgida-Demonstration blockiert oder Ähnliches?

(lächelt) Nein. Dass manche Teilnehmer am Ende mit einer Art Blockade versucht hatten, die Demo von Bärgida zu unterbinden, habe ich vor Ort gar nicht mitbekommen, ich war auch nicht die komplette Zeit dabei. Die Vielen, die da mitgegangen sind, hatten das Bedürfnis, Farbe zu bekennen und die Straße nicht den Extremisten und den Hetzern zu überlassen. Und das war auch meine Motivation.

Das heißt, Sie hatten nicht die Motivation, etwas zu blockieren und sich hinzusetzen? Wolfgang Thierse hat das zu den Zeiten, als er Vizepräsident des Bundestages war, ja tatsächlich einmal gemacht. Warum haben Sie sich nicht gesetzt?

Ich habe so großes Vertrauen in unsere staatlichen Organisationen und in unseren Rechtsstaat, dass ich mich nicht dazu genötigt fühle, so zu handeln. Ich finde, es ist wichtig, auf die Straße zu gehen, Gesicht zu zeigen, nicht still zu sein. Man muss nicht unbedingt eine Sitzblockade machen, um sich denen in den Weg zu stellen, die teilweise auf der Straße rumlaufen und wirklich gruselige Dinge verbreiten. Wir haben gerade 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir erleben gerade einen großen Prozess gegen einen Mitarbeiter des Konzentrationslagers in Auschwitz. Wir haben einen Fritz-Bauer-Preis ausgelobt, der in den 60er-Jahren den Auschwitz-Prozess in Frankfurt auf den Weg gebracht hat. Wir beschäftigen uns schon mit den Fragen: Was ist denn ziviler Widerstand und wann muss man zivilen Widerstand leisten? Man muss nur in die deutsche Geschichte schauen. Es ist gerade ein Film über Elser gelaufen, den Hitler-Attentäter, der mit einer Bombe, die auch andere Menschen das Leben gekostet hat, Hitler umbringen wollte. Das sind jetzt extreme Formen des Widerstands in extremen geschichtlichen Situationen. In einer solchen Situation befinden wir uns aber gottlob nicht.

Gibt es denn überhaupt eine Art Widerstandsrecht, oder muss ein Bürger es hinnehmen, wenn Rechtsradikale sich vor ein Flüchtlingsheim stellen und dort Parolen brüllen? Denn die Meinungsäußerungsfreiheit des Grundgesetzes schützt ja schließlich auch gruselige Meinungen. Muss man diese also tolerieren?

Ja, das ist leider so. Das ist aber auch der Kern der Meinungsfreiheit, dass auch die Meinung der anderen geduldet werden muss, auch wenn sie noch so scheußlich ist – solange keine gesetzlichen Grenzen überschritten werden. Alles andere würde darauf hinauslaufen, dass wir irgendwo eine Stelle haben, die definiert, was ist eine Meinung, die man äußern darf und die geschützt ist, und was nicht. Das geht nicht, das will ich auch nicht. Und deshalb muss man auch solche Meinungen ertragen. Und man muss auch ertragen, dass die ihre Meinung offen sagen und auch in Demonstrationen kundtun können. Jeder hat das Recht zu demonstrieren wofür und wogegen man will.

Aber ich sage auch: Jeder hat auch moralische Pflichten – zum Beispiel die Pflicht, darüber nachzudenken, hinter welcher Fahne man da herläuft. Genau das war Kern meiner Kritik an denen, die bei Pegida in der dritten, vierten Reihe mitskandiert haben. Aber das zeigt eigentlich nur, wie wichtig es ist, dass es keine rechtextreme Demonstration ohne Gegendemonstration geben sollte. Alles andere schafft ein schiefes Bild, gerade in Deutschland. Die Krakehler bei Pegida und Co. sind nicht Deutschland. Das ist nicht die Mehrheit in unserem Land.

Mehr als eine Gegendemonstration anzumelden, kann der Bürger also nicht tun. Oder gibt es daneben auch eine Art Grau-Bereich, in dem man sich engagieren kann?

Ich kann verstehen, dass manche es unerträglich finden, wenn die Neonazis durch die Straßen laufen und Parolen brüllen, aber es gibt ganz unterschiedliche Formen, sich dem auch intelligent entgegenzusetzen. Ich erinnere mich an eine Situation im Saarland: Das war auf dem Steinrausch, da hat die NPD, glaube ich, in einem Lokal eine Veranstaltung machen wollen und diese auch groß beworben. Es ging natürlich gegen Ausländer und Sozialschmarotzer und so weiter. Diese Veranstaltung hat nie stattgefunden, weil die dortige SPD sich in der Kneipe verabredet hatte, und zwar eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn. Und jeder, der kam, hatte sich verpflichtet, noch drei, vier Leute mitzubringen. Das hat dazu geführt, dass die Kneipe inklusive des Veranstaltungsraums eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn der NPD so voll war, dass einfach keiner mehr reingepasst hat. Das war auch eine Form von Blockade, aber eine intelligente Form des Protests. Ich glaube, es geht schon, sich so etwas entgegenzustellen, ohne dass man den Straftatbestand der Nötigung erfüllt.

Interview: Frank M. Wagner

Von EIC