Großinvestoren, die hochwertige Eigentumswohnungen bauen, schaffen viel Rendite – aber meist keinen Wohnraum für den Durchschnittsverdiener.  Das hat mittlerweile auch der Berliner Senat erkannt und verkauft seine Grundstücke nicht mehr nur an den Höchstbietenden. So kommen auch Genossenschaften zum Zuge. Zufrieden sind diese aber trotzdem nicht.

Von Frank M. Wagner

Beim Berliner Wohnungsbau gibt es viele gute Nachrichten, so scheint es oberflächlich betrachtet jedenfalls. Die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH (kurz: BIM) hat im Jahr 2017 satte 170 Grundstücke verkauft und keines davon ging an die oft kritisierten Hedgefonds oder an ausländische Investoren. Im Gegenteil: „Im Wesentlichen handelt es sich um Verkäufe von Ein- und Zweifamilienhausgrundstücken sowie um den Verkauf kleinerer Splitter- und Arrondierungsflächen“, sagt Johanna Steinke, Pressesprecherin der BIM. Ganz konkret gilt also: Kleinere Grundstücke im klassischen Bieterverfahren verkauft die BIM hauptsächlich an Bürger, die ihren Traum vom Einfamilienhaus verwirklichen wollen. Darüber hinaus seien Wohnbaugrundstücke für den Geschosswohnungsbau an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften verkauft worden. Steinke betont: „Die Liegenschaftspolitik im Land Berlin hat sich vor einigen Jahren stark verändert. Mit der sogenannten ‚Transparenten Liegenschaftspolitik‘ setzt das Land seinen Fokus auf eine langfristige, strategische Ausrichtung. Damit verbunden ist eine eindeutige Abkehr von Verkäufen zum Höchstpreis im Zuge von Bieterfahren.“

Diese Haltung klingt zunächst einmal nicht nur prima, sie ist es im Grundsatz auch. Und passt sie nicht ganz wunderbar zu den vollmundigen Ankündigungen, die die Regierungskoalition aus SPD, Linken und Grünen 2016 in ihrer Koalitionsvereinbarung festgehalten hatte? Dort, auf Seite 29, stellt die Koalition unter der Überschrift „Wohnungsbaugenossenschaften besser unterstützen“ zunächst einmal die besondere Bedeutung der Genossenschaften heraus: Sie seien „wichtige Partner für eine soziale Wohnungspolitik“, denn mit ihren rund 190.000 Wohnungen wirkten sie „dauerhaft mietpreisdämpfend und sozial stabilisierend“. Sodann heißt es ganz konkret und unmissverständlich: „Um das Wohnungsangebot für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen zu erweitern, sollen die Genossenschaften durch Wohnraumförderung, die Bereitstellung von Grundstücken und Kooperationen beim kommunalen Vorkaufsrecht stärker unterstützt werden“. Also müsste ja alles bestens sein. Mitnichten.

Christian Luchmann, Mitglied der Entwicklungsgenossenschaft Urban Coop Berlin eG, bringt die Situation ganz unverblümt auf den Punkt: „Beim Thema Bereitstellung von Grundstücken sehen wir nach zwei Jahren Regierungszeit noch keine Verbesserungen.“ Urban Coop Berlin will aktiv neue Genossenschaften initiieren und genossenschaftliche Bauvorhaben mit leistbaren Mieten in Berlin umsetzen. „Die Rahmenbedingungen dafür sind allerdings noch nicht gegeben“, meint Luchmann.

Ähnlich kritisch äußert sich auch Dirk Enzesberger, Vorstand der Charlottenburger Baugenossenschaft eG. Zwar begrüße man alle Vorhaben, mit denen Genossenschaften bei ihrem Ziel der Schaffung von Wohnraum unterstützt werden sollten. „Wir können jedoch, außer Absichtserklärungen vieler Akteure, keine verbindlichen Maßnahmen erkennen, diese Ziele auch in der Praxis umzusetzen.“

Zufriedenheit klingt anders, völlig anders. Schaut man sich die im Koalitionsvertrag angekündigte „bessere Unterstützung“ einmal in der konkreten Realität an, wird klar, weshalb die Genossenschaften verärgert sind:

Im Jahr 2017 wurden ganze drei landeseigene Grundstücke an Baugenossenschaften verkauft, deren Größe lag bei einer als relativ schmal zu bezeichnenden Quadratmeterzahl von 3.000 bzw. 2.220 qm. Eines der drei, ein so genanntes „Arrondierungsgrundstück“ wies sogar nur 100 qm auf. Im aktuellen Jahr 2018 sind bislang vier Objekte an Genossenschaften bzw. genossenschaftsähnliche Nutzer veräußert worden, drei  davon auch außerhalb von Konzeptverfahren. Aktuell laufen noch drei Verfahren, die sich auch an genossenschaftlich organisierte Nutzer richten. Für 2019 sollen es laut Bausenatorin Lompscher fünf sein.

Um zu verstehen, wie Baugenossenschaften bei landeseigenen Grundstücken überhaupt zum Zuge kommen, muss man sich drei Möglichkeiten des Grundstückserwerbs anschauen, die die BIM anbietet.. Da gibt es zum einen die eher seltenere Direktvergabe von Grundstücken, etwa an Botschaften oder Industriebetriebe, die sich an bestimmten Orten in Berlin ansiedeln sollen. Am häufigsten erfolgt die Vergabe allerdings im klassischen Bieterverfahren, bei dem der Meistbietende den Zuschlag erhält – vorausgesetzt natürlich, er kann das Grundstück auch bezahlen. Daneben gibt es inzwischen noch das so genannte „Konzeptverfahren“. Anders als im Bieterverfahren zählt hier nicht der größte Scheck, sondern vor allem die beste Idee als Entscheidungskriterium – wenn man es einmal sehr plakativ formulieren will. Anders gewendet: Wer erfolgreich ein Grundstück im Konzeptverfahren erwerben will, muss unter anderem ein stimmiges inhaltliches und ökologisches Konzept vorlegen, ebenso muss die Vorstellung auch wirtschaftlich und gestalterisch überzeugen sowie standortgerecht sein. Denn immerhin geht es beim Konzeptverfahren in der Regel um Grundstücke für die ein öffentliches Interesse hinsichtlich der künftigen Nutzung besteht.

Aktuell laufen drei Konzeptverfahren und zwar zu den Grundstücken Brandenburgische Straße 15, Osdorfer Straße 17/18 und Türrschmidtstraße 32/32 a. Auf ihrer Internetseite kritisiert die Entwicklungsgenossenschaft Urban Coop Berlin diese Grundstücke als „sehr unattraktiv“: Sie seien unter anderem sehr klein und nicht frei von Nutzungen: „So wird beispielsweise das Grundstück in der Brandenburgischen Straße durch einen Verein und einen Autohandel genutzt, auf dem Grundstück Osdorfer Straße gibt es diverse Nutzungen.“ Die Klärung der Freimachung würde auf den Bieter und künftigen Erbbaurechtsnehmer abgewälzt. Urban Coop: „Etwaige Auseinandersetzungen und Konfliktregulierungen können zu nicht absehbaren Verzögerungen oder zum nicht Zustandekommen des Erbbaurechtsvertrages führen.“
Dazu meint Johanna Steinke von der BIM: „Es ist richtig, dass die ausgeschriebenen Grundstücke derzeit nicht frei von Nutzungen sind. Die Miet- und Nutzungsverhältnisse wurden bzw. werden jedoch fristgerecht gekündigt bzw. aufgehoben, mit dem Ziel, die Grundstücke nach Vertragsschluss frei von Nutzungen Dritter übergeben zu können.“ Die Brandenburgische Straße sei bereits frei von Nutzungen durch Dritte.

Doch warum werden insgesamt nur so wenige Grundstücke im Konzeptverfahren vergeben? Steinke: „Viele der 170 Grundstücke waren Ein- und Zweifamilienhausgrundstücken sowie kleinere Splitter- und Arrondierungsflächen. Diese würden sich für ein Konzeptverfahren gar nicht eignen.“ Bei allen anderen Grundstücken, bei denen im Rahmen der Clusterung (also der Einordnung) gemeinsam mit den Fachverwaltungen und Bezirken entschieden wurde, dass sie in einem Konzeptverfahren vergeben werden, sei dies auch passiert. „Und das waren für 2017 und 2018 eben die genannte Anzahl.“

Was muss also getan werden, damit mehr Konzeptverfahren ausgelobt werden können? Senatorin Lompscher bringt in einem Tagesspiegel-Interview eine Quote für die Nutzung landeseigener Bauflächen zugunsten der Genossenschaften und ähnlicher gemeinwohlorientierter Bauträger ins Spiel, damit diese Planungssicherheit bekämen. Dazu erklärt Birgit Möhring, Geschäftsführerin der BIM auf Anfrage der Agentur ET-Media, Berlin: „Wir begrüßen den Vorstoß von Frau Lompscher und würden eine solche Regelung für unsere treuhänderisch verwalteten Liegenschaften gerne umsetzen, da wir die Auffassung vertreten, dass sowohl Baugenossenschaften als auch gemeinwohlorientierte Dritte einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt Berlins leisten“.

Christian Luchmann hat derweil schon sehr konkrete Vorstellung zur Quote: „Wir fordern eine Beteiligung der Genossenschaften an der Baulandvergabe mit 30 % der Flächen. Insofern begrüßen wir, dass Frau Lompscher diesen Punkt aufgreift.“
Die Charlottenburger Baugenossenschaft findet es ebenfalls positiv, dass die Senatorin sich gegenüber Vorschlägen und Modellen von Genossenschaften oder bereits etablierter Verfahren anderer deutscher Städte zur stärkeren Beteiligung von Genossenschaften am Wohnungsbau öffnet.
Vorstand Dirk Enzesberger hat dazu einen recht langen Katalog mit Vorschlägen, unter anderem: „Alle landeseigenen Grundstücke größer 2 ha erhalten einen verbindlichen Anteil von mindestens 25% genossenschaftlichem Wohnungsbau“ und: „Mindestens 33% genossenschaftlichen Wohnungsbau für alle landeseigenen Flächen mit ‚Schwerpunkt des Wohnungsneubaus‘ analog zum Münchener Modell“.

In München funktioniert bereits, was in Berlin noch entwickelt werden muss. Dafür hat die rot-rot-grüne Koalition noch maximal drei Jahre Zeit.

Update: Der Berliner Senat hat die Förderung von Wohnungsbaugenossenschaften inzwischen geändert. In einer Pressemitteilung vom 11. September 2018 skizziert er die Eckpunkte der Unterstützung des genossenschaftlichen Wohnens . Mehr dazu hier: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_1809/nachricht6606.html

Von EIC